Angeklagt wegen christlicher Adventsfeier



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Anti-Konversionsgesetze schüren Gewalt gegen religiöse Minderheiten. In Zentralindien nehmen Diskriminierung und Gewalt gegen Christen weiter zu, nachdem nationalistische Hindus ihre Kampagnen zur „Rückbekehrung“ der einheimischen Bevölkerung intensiviert haben. „Die Menschen sind verängstigt, weil radikale Hindu-Gruppen Druck auf die einheimischen Christen ausüben, damit sie ihren Glauben aufgeben“, erklärt der Priester Rocky Shah gegenüber dem weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ (ACN). Shah ist Öffentlichkeitsbeauftragter der Diözese Jhabua im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Dort machen die Christen weniger als ein Prozent der rund 71 Millionen Einwohner aus.

Von Seiten fanatischer Hindus seien Kampagnen gegen Seelsorger der verschiedenen christlichen Konfessionen gestartet worden, berichtet Shah. „Sie drohen auch mit dem Abriss unserer Kirchen unter dem falschen Vorwand, diese seien illegal auf dem Land der Ureinwohner errichtet worden.“ Nachdem es sogar zu konkreten Abrissplänen gekommen war, habe sich jedoch die Bezirksverwaltung schützend vor die christliche Minderheit gestellt: „Sie haben über 300 Polizisten geschickt, um unsere Kathedrale in Jhabua und andere kirchliche Einrichtungen zu schützen.“

Bis zu zehn Jahre Haft für Religionswechsel

Doch nicht immer können die Christen auf Beistand des Staates hoffen. Im Bundesstaat Madhya Pradesh ist im Januar 2021 ein sogenanntes Anti-Konversionsgesetz in Kraft getreten. Es sieht bis zu zehn Jahre Gefängnis für Personen vor, die zum Christentum oder zum Islam konvertieren. Ein Übertritt von anderen Religionen zum Hinduismus ist jedoch jederzeit möglich.

Madhya Pradesh ist einer von derzeit acht der 28 indischen Bundesstaaten, die Anti-Konversionsgesetze verabschiedet haben. Anderorts sind ähnliche Vorschriften geplant. In diesen Regionen ist die Bharatiya Janata Party (BJP) in der Mehrheit, die mit Narendra Modi auch den Chef der Zentralregierung in Neu-Delhi stellt. Die BJP fährt seit Jahrzehnten einen strikt nationalistischen Kurs. Der Hinduismus gilt ihr als integraler Bestandteil der indischen Nation; andere Religionen als schädliche ausländische Einflüsse. Ausnahmen billigen die Anhänger der BJP lediglich den Anhängern der animistischen Stammesreligionen zu.

Als Ministerpräsident Modi Ende Oktober Papst Franziskus im Vatikan besuchte, stellte ein Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen den Bericht „Christians under attack in India“ (Angriffe gegen Christen in Indien) vor. Der Bericht verzeichnet allein für das laufende Jahr bislang über 300 Vorfälle antichristlicher Gewalt in Indien.

„Rückbekehrungszeremonien“ und Anklagen wegen missionarischer Tätigkeit

Auch im Bundesstaat Madhya Pradesh bekamen die Christen die Folgen zu spüren, nachdem das Anti-Konversionsgesetz verabschiedet war. Rocky Shah berichtet: „Mehr als ein Dutzend Christen wurde inhaftiert. Selbst ein Akt der christlichen Nächstenliebe kann als Bekehrungsversuch gewertet werden.“

Auch würden vermehrt einheimische Christen vor die Behörden geladen, um nachzuweisen, dass sie unter Zwang missioniert worden seien. In der Region seien aktuell 56 christliche Priester, Pastoren und Gemeindeleiter wegen mutmaßlicher illegaler Bekehrungsversuche angeklagt. „Wir werden mit den Behörden zusammenarbeiten. Wir haben nichts zu verbergen. Die Wahrheit wird nach der Untersuchung ans Licht kommen“, zeigt sich der Priester Rocky Shah „Kirche in Not“ gegenüber zuversichtlich.

Adventslieder reichten für Inhaftierung und Anklage

Welche Wirkung der Vorwurf der Zwangs-Missionierung haben kann, zeigt der Fall des Priesters George Mangalapilly, ebenfalls aus dem Bundesstaat Madhya Pradesh. Er war Ende September nach vier Jahren juristischer Auseinandersetzung vom indischen Supreme Court in letzter Instanz freigesprochen worden. Der Vorwurf an ihn lautete: Religiöse Zwangskonversion durch das Abhalten einer Adventsfeier. Der Vorfall hatte sich bereits am 14. Dezember 2017 ereignet.

Gegenüber „Kirche in Not“ schildert Mangalapilly, was damals passiert war: „Ich fuhr mit einem anderen Priester und 32 Priesterseminaristen in das Dorf Bhumakahar. Wie schon in den Vorjahren hatten wir mithilfe der Dorfbewohner ein Adventsprogramm organisiert. Die Veranstaltung war fast vorbei, als eine Gruppe von Leuten auftauchte, die Zusammenkunft unterbrach, uns beschimpfte und versuchte, einige Seminaristen zu schlagen.“

Bei den Personen habe es um radikale Hindus gehandelt. „Sie warfen uns vor, die Bevölkerung zum Christentum zu bekehren. Außerdem sei die Feier von den Behörden nicht genehmigt.“ Die alarmierte Polizei führte die Gruppe aus Priestern und Seminaristen – insgesamt über 40 Personen – ab und sperrte sie über Nacht in einen kleinen Raum in der Polizeistation. Erst gegen Kaution wurde die Gruppe freigelassen.

Angst vor Auflösung der traditionellen Gesellschaftsordnung

Schließlich wurde Anklage gegen George Mangalapilly erhoben. Grundlage war das Religionsfreiheitsgesetz (Freedom of Religion Act) des Bundesstaates Madhya Pradesh, das bereits vor dem neuen Anti-Konversionsgesetz in Kraft war. Demnach ist missionarische Tätigkeit mithilfe von Zwang verboten. Offen bleibt, was unter Zwang fällt und was nicht. Der Priester durchlebte eine schwere Zeit, berichtet er gegenüber „Kirche in Not“: „Ich musste viele Gerichtsverhandlungen durchstehen.“ Letztlich sei die Anklage aber haltlos gewesen.

Sein Fall wegen einer Adventsfeier sei außergewöhnlich, aber kein Einzelfall. „Solche Christenverfolgungen sind nichts Neues“, erklärte Mangalapilly. Ursache für Attacken und Anschuldigungen gegen Christen sei schlicht die Angst vor einer Auflösung der traditionellen Gesellschaftsordnung, die radikalen Hindus sakrosankt ist. Die Kirche aber stehe auf Seiten der unterdrückten Menschen: „Wir bringen Menschen das Lesen und Schreiben bei. Und natürlich haben einige Menschen Angst, dass die Unterdrückten auf ihre Rechte pochen, wenn sie Bildung erhalten.“