Erzbischof Kaigama im Interview

Am 23. April wird das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ unter dem Titel „Christen in großer Bedrängnis“ seine aktuelle Dokumentation über die Diskriminierung und Verfolgung von Christen weltweit vorstellen. Der Bericht mit Stand 2013 beleuchtet unter anderem die schwierige interreligiöse Situation in Nigeria. Über die vielfältigen Konflikte im Land und deren Ursachen hat „Kirche in Not“ mit dem Erzbischof von Jos, Ignatius Kaigama, gesprochen.
Ihre Erzdiözese Jos liegt im Herzen Nigerias. Der Norden ist mehrheitlich von Muslimen bewohnt, während im Süden überwiegend Christen leben. Kann man daher sagen, dass in Jos unterschiedliche Zivilisationen aufeinander prallen?
Genau. Meine Diözese liegt inmitten eines Überlebenskampfes und eines kulturellen Kampfes zwischen dem Norden und dem Süden Nigerias. Bei diesem Kampf spielt auch die Religion eine zentrale Rolle. Das Aufeinandertreffen des muslimisch geprägten Nordens und des christlich geprägten Südens kann friedlich verlaufen; es kann aber auch zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen. Leider wurden wir bereits Zeugen von Gewalt.
Wie sieht es gegenwärtig in Ihrer Diözese aus?
In unserer Diözese sind wir mit verschiedenen Krisen konfrontiert. Zu Beginn bestand ein verheerendes Missverständnis zwischen der Volksgruppe der Hausa und den anderen ethnischen Gruppen in Jos. Beide Fraktionen behaupten, dass Jos ihnen gehöre. Die Hausa argumentieren: „Wir haben die Stadt Jos gegründet.“ Und die anderen halten dagegen: „Ihr seid aus den nördlichen Bundesstaaten Kano und Sokoto gekommen. Ihr seid nur nach Jos gekommen, um Handel zu treiben oder im Bergbau zu arbeiten.“ Dieser Streit hat seit 2001 eine große Krise mit vielen Toten herbeigeführt. Zwischen unseren ethnischen Gruppen hat sich enorm viel Misstrauen aufgebaut. Die Volksgruppe der Hausa ist dabei nahezu vollständig muslimisch; die anderen ethnischen Gruppen sind dagegen fast ausschließlich christlich. So liegt es nahe, diese ethnische Krise auf die Religion zurückzuführen, und leider wurde der Konflikt tatsächlich auch religiös interpretiert. Das führte zu noch mehr Misstrauen und Gewalt zwischen Christen und Muslimen.
Im Norden Nigerias ist die militante Sekte „Boko Haram“ aktiv. Wie groß ist die Bedrohung, die von ihr ausgeht?
Der Wunsch, zu missionieren und dadurch mehr Mitglieder zu bekommen, liegt in der Natur jeder Religion begründet. Ich verstehe darum, dass der Islam an Boden gewinnen und mehr Bekehrungen erzielen will. Das will das Christentum ja auch. Manchmal erfolgt diese Glaubensweitergabe auf friedlichem Weg – zum Beispiel dadurch, dass wir Christen in Nigeria unseren Glauben einfach als Zeugen leben. Doch einige wollen anderen ihren Glauben aufzwingen. Wenn aber in Glaubenssachen Zwang mitspielt, ist Gewalt unvermeidbar. Aufgrund religiöser Intoleranz werden Menschen in Nordnigeria diskriminiert. Das macht sie gewaltbereit. Religiöse Intoleranz ist eine tickende Zeitbombe: Wenn sie explodiert, wird jeder Nigerianer die schrecklichen Konsequenzen zu spüren bekommen. Die islamistische Sekte „Boko Haram“ hat sich das Ziel gesteckt, jeden Nigerianer zum Islam zu bekehren. Auch den Präsidenten von Nigeria drängen sie zur Konversion. Wenn man eine flächendeckende Missionierung in einem multiethnischen und multireligiösen Land von 160 Millionen Einwohnern anstrebt, beschwört man eine verheerende Krise herauf.
Haben die Extremisten so etwas wie eine Strategie für die Islamisierung Nigerias oder operieren verschiedene fanatische Gruppen unabhängig voneinander?
Die islamischen Fundamentalisten agieren unabhängig voneinander. Sie haben keine hierarchische Struktur wie wir sie in der Katholischen Kirche haben. Im Islam gibt es verschiedene Glaubensrichtungen. Es gibt auch mehrere Autoritäten. Selbst die Sekte „Boko Haram“ besteht aus mehreren Gruppen mit unterschiedlichen Ansichten. Daher glaube ich nicht, dass es einen einheitlichen Strategieplan gibt, um Nigeria zu islamisieren. Doch der Wunsch ist da.
Wie beurteilen gemäßigte Muslime die geforderte Islamisierung? Haben sie Angst vor den Fanatikern?
Der Sultan von Sokoto, das Oberhaupt der Muslime Nigerias, hat klipp und klar gesagt, dass eine vollständige Islamisierung Nigerias reines Wunschdenken ist. Praktisch ist sie nicht durchführbar. Denn Nigeria ist ein multikulturelles, multiethnisches und ein multireligiöses Land mit 160 Millionen Einwohnern und mehr als 400 ethnischen Gruppen. Anstatt unsere Zeit damit zu verschwenden, über ein muslimisches Nigeria nachzudenken, sollten wir uns darum bemühen, harmonisch zusammen zu leben und im sozialen Bereich Fortschritte zu machen.
Welchen Einfluss hat der nordafrikanische „Arabische Frühling“ auf den Rest des Kontinents?
Der „Arabische Frühling“ wirkt sich direkt und indirekt auf uns alle in Afrika aus. Die Revolution war etwas Außergewöhnliches; viele junge Leute haben sie auf den Weg gebracht. Es ist möglich, dass wir so etwas erneut erleben. In den afrikanischen Ländern ist die Korruption ein großes Problem. Die Funktionäre kreisen nur um sich selbst, kümmern sich nicht um die jungen Leute und interessieren sich nicht für das Allgemeinwohl. So etwas bereitet den Boden für eine soziale Revolution. Hoffentlich bleibt es bei solch einer sozialen Revolution, etwa gegen Korruption, Jugendarbeitslosigkeit und unethisches Verhalten. Gefährlicher wäre eine Revolution der Religionen. Wir sollten auf eine soziale Revolution gefasst sein, denn die Jugend Afrikas ist sehr verärgert. Sie hat keine soziale Perspektive. Ich würde daher gerne eine friedliche Revolution erleben.
Welche Botschaft möchten Sie an die Katholiken in Deutschland richten? Was können wir Deutsche tun, um Ihre Arbeit zu unterstützen?
Als ich noch ein Seminarist im Priesterseminar war, bin ich meinen Wohltätern in Deutschland sehr dankbar gewesen. Denn sie finanzierten meine Priesterausbildung. Die meisten Kirchen, die wir in Nigeria gebaut haben, wurden mit Hilfe von „Kirche in Not“ und anderen deutschen Hilfswerken finanziert. Als ich Bischof wurde und Kirchen und Pfarrhäuser bauen wollte, hatte ich keine Mittel zur Verfügung. Die größte finanzielle Unterstützung kam dann aus Deutschland. Daher können wir den großzügigen und opferbereiten deutschen Katholiken nicht genügend danken.