„Keine faulen Kompromisse“



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Emeritierter Bischof von Hongkong über die Lage der Christen in China. Joseph Kardinal Zen Ze-kiun gilt als Gewissen der katholischen Kirche in China. Vor allem die laufenden Verhandlungen des Heiligen Stuhls mit der kommunistischen Staatsführung sieht er skeptisch. Denn die Regierung verfolgt aus seiner Sicht nur ein Ziel: die Kirche ihrem Führungsanspruch zu unterwerfen. Der 85-Jährige war am 13. Mai auf einem Begegnungstag von „Kirche in Not“ Deutschland im Wallfahrtsort Kevelaer zu Gast. Mit Berthold Pelster sprach er darüber, dass die Kollaboration mit der Staatsführung auch unter Christen zunimmt, welche Rolle die katholische Kirche beim Neuaufbau der chinesischen Gesellschaft spielen kann – und warum die Kommunisten Angst vor der Fatima-Madonna haben.

KIRCHE IN NOT: Die Volksrepublik China hat in den letzten vier Jahrzehnten einen enormen gesellschaftlichen Wandel durchgemacht: Reformen, vor allem im ökonomischen Bereich, haben den Aufstieg zu einer wirtschaftlichen und technologischen Großmacht ermöglicht. Welche Bedeutung hat dabei die kommunistische Ideologie heute noch?

Joseph Kardinal Zen Ze-kiun: Die Führung in China hat die kommunistische Ideologie nie besonders ernst genommen. Beim chinesischen Kommunismus handelt es sich vielmehr um eine Form des ungezügelten Imperialismus. Die ausufernde Korruption auch innerhalb der Partei belegt das. Alles dreht sich um Macht. Absoluter Gehorsam gegenüber der Staatsführung ist das einzige, was zählt. Und mit den Öffnungen im wirtschaftlichen Bereich und dem zunehmenden Wohlstand wird das alles immer schlimmer. Der Reichtum heizt die Korruption immer weiter an.

Politische Beobachter sprechen davon, dass sich die Menschenrechtslage unter dem jetzigen Präsidenten Xi Jinping eher verschlechtert habe. Was sind Ihre Beobachtungen?

Anfangs hatte ich Hoffnungen, weil der Präsident gegen die Korruption in Staat und Gesellschaft vorgegangen ist. Aber sehr schnell stellte sich heraus, dass es auch bei ihm nur um Macht geht. Personen, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen, werden unter seiner Regierung unterdrückt, verfolgt, gedemütigt und in Propagandaprozessen verurteilt.

Noch immer ist die katholische Kirche in China gespalten: Es gibt die von der kommunistischen Führung anerkannte sogenannte „Patriotische Vereinigung“, die aber jede Einflussnahme Roms ablehnt. Auf der anderen Seite gibt es die papsttreue Untergrundkirche, die starken Repressalien ausgesetzt ist. Wie ist die Lage aktuell?

Die Situation ist weiterhin sehr schwierig und schlimm. Und ich muss leider sagen: nicht nur wegen der Kommunisten, sondern auch wegen der gegenwärtigen Politik des Heiligen Stuhls. Einige Vertreter im Vatikan sind überzeugt, dass jetzt der Moment der Versöhnung der beiden Flügel der katholischen Kirche, also der offiziellen Staatskirche und der Untergrundkirche, gekommen ist. Papst Benedikt XVI. hat im Jahr 2007 in seinem Brief an die Katholiken in China von Versöhnung gesprochen und damit vor allem die geistliche Versöhnung gemeint. Aber das ist ein langer Weg!

Warum so skeptisch?

Wir können die Katholiken der papsttreuen Untergrundkirche doch nicht auffordern, sich der Staatskirche anzuschließen, die eine strikte Unabhängigkeit von jeglichem ausländischen Einfluss fordert. Eine solche Unabhängigkeit widerspricht dem katholischen Glauben! Aber auch der Staat setzt die Christen der Untergrundkirche unter Druck, mit sehr subtilen Methoden. Bischöfe der Untergrundkirche wurden zum Beispiel in der Karwoche zu politischen Schulungen zwangsverpflichtet und konnten deshalb nicht die Liturgie mit den Gläubigen feiern.

Können Sie uns etwas über den aktuellen Stand der Verhandlungen zwischen chinesischer Führung und dem Heiligen Stuhl berichten?

Leider dringt über die Gespräche wenig nach außen. Selbst ich als chinesischer Kardinal habe kaum Informationen darüber. Das, was ich weiß, macht mich aber sehr besorgt. Ich habe die große Befürchtung, dass die Gespräche in die falsche Richtung laufen, besonders, was die Auswahl und Ernennung von Bischöfen betrifft. Aber es gibt noch viele weitere Probleme. Ich erwarte, dass die Gespräche noch sehr lange dauern werden. Die Staatsführung wird meines Erachtens kein anderes Ergebnis akzeptieren als die vollständige Unterwerfung der Kirche unter den Führungsanspruch der kommunistischen Partei.

Der Vatikan betont immer wieder, dass es nur eine katholische Kirche in China gibt, die allerdings unter großen inneren Spannungen leidet. Ist diese Beschreibung aus Ihrer persönlichen Sicht zutreffend?

Früher habe ich das auch betont: Ja, es gibt nur eine katholische Kirche in China! Heute habe ich da meine Zweifel. Heute beobachte ich einen verbreiteten Opportunismus in der Staatskirche. Zu viele erliegen den materialistischen Verlockungen, die die staatlichen Behörden denjenigen anbieten, die sich der Staatsmacht beugen. Materielle Vorteile verleiten sie dazu, der Staatsmacht mehr Loyalität entgegenzubringen als der universellen katholischen Kirche. Bischöfe in der Staatskirche werden illegal geweiht mit dem Versprechen: „Seid ohne Sorge! Früher oder später wird der Vatikan euch schon noch anerkennen!“ Das sind unhaltbare Zustände!

Das alles klingt sehr pessimistisch. Was sind Ihre Erwartungen für das Christentum in China?

Alles hängt davon ab, ob wir es schaffen, unseren Glauben authentisch zu leben – und nicht mit vielerlei Kompromissen. Es gibt diese Christen in China, die mutig für eine bessere Gesellschaft eintreten. Viele von ihnen aber sind im Gefängnis! Sollte der Kommunismus eines Tages fallen, dann sollten die Katholiken zu denjenigen gehören, die ein neues China aufbauen. Das geht aber nur, wenn die Katholiken nicht vorher schon durch faule Kompromisse mit der kommunistischen Führung ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben.

Wir Katholiken erinnern uns in diesen Tagen an die Erscheinungen der Gottesmutter in Fatima vor genau 100 Jahren. Die Botschaften der Gottesmutter von Fatima warnen vor der gottlosen Ideologie des Kommunismus. Sind diese Botschaften unter den Katholiken in China bekannt?

Natürlich! Alle bei uns kennen die Fatima-Botschaften. Sogar die Kommunisten! Sie sind sehr besorgt deswegen und haben sogar Angst vor der Gottesmutter von Fatima! Das nimmt groteske Züge an: Wenn Sie zum Beispiel Bilder der „Maria Immaculata“ oder Darstellungen des Gnadenbildes „Maria, Hilfe der Christen“ aus dem Ausland nach China einführen, dann haben die Kommunisten nichts dagegen. Bilder der „Gottesmutter von Fatima“ dagegen sind verboten. Das ganze Fatima-Geschehen ist aus ihrer Sicht „anti-kommunistisch“. Und das haben sie ja auch ganz richtig erkannt!

Die Führung macht da also Unterschiede. Dabei hat auch die Verehrung Marias unter dem Titel „Hilfe der Christen“ einen besonderen Bezug zu China: An ihrem Gedenktag, dem 24. Mai, begeht die katholische Kirche einen weltweiten Gebetstag für die Kirche in China. Papst Benedikt XVI. hat ihn im Jahr 2007 eingeführt. Welche Bedeutung hat dieser Gebetstag?

Die Verehrung der Gottesmutter unter dem Titel „Hilfe der Christen“ ist überall in China schon lange tief verwurzelt. Unter diesem Titel ist nicht nur die Hilfe für einzelne Gläubige gemeint, sondern auch die Hilfe für die Kirche als Ganzes. In China ist die Hauptgefahr heute der materialistische Atheismus. Leider ist dieser Gebetstag, der für die katholische Kirche weltweit Geltung hat, viel zu wenig bekannt. Er wird noch zu wenig ernst genommen.