Sie wollten das Herz Nigerias verletzen



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Boko Haram: „Sie wollten das Herz Nigerias verletzen“. In der Nacht vom 14. auf den 15. April 2014 wurden ungefähr 275 Mädchen aus einer staatlichen Oberschule in Chibok im nigerianischen Bundesstaat Borno entführt. Boko Haram zeichnete für die Entführung verantwortlich.

Kirche in Not sprach mit dem Vorsitzenden der Nigerianischen Bischofskonferenz, Erzbischof Ignatius Kaigama von Jos. Gelegenheit zu diesem Gespräch gab es im Rahmen des von dem katholischen Hilfswerk veranstalteten internationalen Kongress zur Religionsfreiheit am 13. Mai 2014 in Malta.

Das Gespräch führte Maria Lozano

Euer Exzellenz, dies ist nicht das erste Mal, dass Boko Haram an unschuldigen Opfern in Nigeria Gewalt ausübt, aber dieses Mal hat der Schlag weltweit Entsetzen ausgelöst.

Sie wollten das Herz Nigerias verletzen. Ich bin sehr besorgt. Diese Mädchen haben noch nie ihren Heimatort verlassen und jetzt sind sie im Busch. Ich bete nur darum, dass die von Boko Haram vertretenen religiösen Werte ausreichen und sie dahingehend beeinflussen, die Würde dieser Mädchen zu respektieren. Das sind einfach unschuldige Mädchen, die jedem Menschen Leid tun. Das Leben ist heilig.

Es ist natürlich tragisch, dass erst etwas so Grauenvolles passieren muss, damit die Welt aufmerksam wird.

Ja, Boko Haram hat seit 2009 schon viele Überfälle verübt und Tausende von Menschen getötet. In meiner eigenen Diözese Jos wurden wir Opfer mehrerer Angriffe, z. B. der Angriff auf die katholische Kirche St. Finbarr, bei dem 14 Menschen ums Leben kamen. Im Februar ermordete die Gruppierung in den Dörfern Doron Baga und Izghe mehr als 100 Männer christlichen Glaubens, aber die internationale Gemeinschaft zeigte keine Reaktion. Ich glaube, dieses Mal war es anders, weil es um unschuldige junge Mädchen geht und auch weil es das unmittelbare Leid von Frauen, der Mütter dieser Kinder, berührt. Frauen können sich stärker mit dem Leid anderer identifizieren. Die Frauen begannen zu demonstrieren – sowohl christliche als auch muslimische Frauen.

Ist nicht so, dass obgleich Boko Haram Christen verfolgt und das ganze Land islamisieren will, auch die muslimische Gemeinschaft immer mehr von Verfolgung und Gewalt betroffen ist?

Ja.  Am Anfang ging es mehr um die Idee, das Christentum, sogenannte „westliche Werte“ zu zerstören und einen Scharia-Staat im Norden Nigerias zu verwurzeln. Sie attackierten also nicht nur Christen, sondern auch Polizeiwachen und andere Einrichtungen, die für westliche Werte standen. Aber jetzt kann man nicht mehr sagen, dass sie ausschließlich Christen angreifen. Boko Haram hat auch muslimische Geistliche getötet. Es geht nicht mehr um Norden oder Süden, auch nicht um Muslime oder Christen. Es geht um Menschen. Die Nigerianer treten gemeinsam für Freiheit und Würde ein; eine gemeinsame Stimme wird lauter, eine Stimme, die sagt: „Gewalt ist niemals ein Weg“.

Wie viele der Mädchen sind Christinnen und inwieweit wurden sie zum Opfer, weil so viele von ihnen Christinnen sind?

Die meisten der Mädchen sind Christinnen. Die meisten der geflohenen Mädchen sind Christinnen, wir können also annehmen, dass dies auch auf diejenigen zutrifft, die noch festgehalten werden. Es ist aber auch richtig, dass ebenfalls einige muslimische Mädchen entführt wurden. Dieser Vorfall ist also ein weiterer Beweis dafür, dass Boko Haram zum Teil auch Muslime angreift.

Es wurde Kritik an der Reaktion der Regierung auf die von Boko Haram ausgeübte Gewalt laut, speziell nach der Entführung der Schulmädchen. Ist diese Kritik gerechtfertigt?

Die Regierung hat die Boko Haram-Krise unterschätzt und dementsprechend langsam reagiert. Ein Teil des Problems ist es, dass die Ressourcen nicht richtig eingesetzt wurden, um die Sicherheitskräfte adäquat zu versorgen und auszustatten, damit sie die Gewalt bekämpfen können. Möglicherweise waren korrupte Praktiken der Grund. Manche Sicherheitskräfte äußern sich dahingehend, dass Boko Haram bessere und modernere Waffen habe als das Militär und die Polizei. Die Mittel müssen bei den richtigen Leuten ankommen. Es gab auch Fälle, bei denen Soldaten getötet wurden, die ihre Mitmenschen und ihre Familie verteidigen wollten und nicht genug Hilfe bekamen. Es ist wichtig, dass diese Familien unterstützt werden.

Was unternimmt die Katholische Kirche als Reaktion auf diese Entführungen?

Wir haben den Dialog gesucht und das hat nicht funktioniert. Die Regierung hat Gewalt eingesetzt und das hat nicht funktioniert. In dieser Phase müssen wir beten: nur Gott kann das Herz dieser Menschen bewegen. Wir beten und wir bitten um Ihre Gebete. Als Vorsitzender der Bischofskonferenz habe ich mich mit einem Schreiben an alle Katholiken in Nigeria gewandt und zu einer Stunde der Anbetung aufgerufen und alle Bischöfe, Geistlichen und Gläubigen zum Gebet aufgefordert.

Wofür beten Sie?

Ich bete für drei Dinge: Erstens, dass sie diese Mädchen bald unbeschadet frei lassen. Zweitens, dass Boko Haram diese Angriffe einstellt und die Gewalt aufgibt. Und dann, dass die Regierung Hilfe von anderen Ländern der Welt erhält: dass Länder sich zusammentun und Terrorismus, Hunger und Armut bekämpfen, um eine authentische Einheit zu schaffen, und nicht nur um politischen – scheinheiligen – Interessen zu dienen.

Das Problem besteht nun seit fünf Jahren. Haben Sie Hoffnung, dass die internationale Gemeinschaft dieses Problem jetzt lösen kann?

Wir müssen zusammenstehen, das ist die einzige Lösung. Boko Haram hat Waffen, aber wie gelangen diese Waffen zu den Terroristen? Woher kommt das Geld? Wer bildet sie aus? Ich denke, die internationale Gemeinschaft kann das in den Griff bekommen. Ich bin Priester, es ist nicht meine Aufgabe, aber ich glaube, dass die internationale Regierungen, das in den Griff bekommen, wenn sie zusammenarbeiten. Nigeria spielt eine wichtige Rolle in Afrika und in der Welt. Es ist besser, jetzt zu helfen anstatt abzuwarten bis es zu spät und noch komplizierter ist.