„Stärke der Menschen beeindruckt mich“



irak

Andrzej Halemba, Projektleiter Nahost bei Kirche in Not, über die Lage der Christen im Irak zwei Jahre nach ihrer Flucht vor dem IS. 
Pater Halemba, kurz nach der Flucht der Christen aus der irakischen Ninive-Ebene haben Sie das Land besucht. Was haben Sie damals gesehen?

Es war natürlich eine verheerende Situation. Die Menschen schliefen in den ersten Tagen auf dem blanken Boden. Die Temperaturen waren im irakischen August gnadenlos. Um die 50 Grad. Die Menschen waren zudem sehr aggressiv und traumatisiert. Hinzu kam, dass sie sich nicht nur von ihren muslimischen Nachbarn verraten fühlten, die mit dem IS kooperierten und ihre Häuser plünderten. Sie hatten darauf vertraut, dass die kurdischen Peschmerga-Truppen ihre Dörfer verteidigen würden. Aber nachdem die Peschmerga überraschend und entgegen aller Versicherungen abzogen, lagen sie schutzlos da und ergriffen unter teils dramatischen Umständen die Flucht. Das konnte man den Gesichtern ansehen.

Kirche in Not hat dann sehr schnell begonnen zu helfen.

Ja. Es ging damals um humanitäre Soforthilfe für immerhin allein über
120000 Christen. Die lokale Kirche war damit zunächst völlig überfordert.
Aber mit der Hilfe internationaler Geber und Organisationen wie Kirche in Not hat sich die Lage doch relativ schnell stabilisiert. Ich habe aber nicht gedacht, dass die Menschen bis heute fern ihrer Heimat würden leben müssen. Die politische und militärische Lage im Irak ließ bislang einfach keine Befreiung der vom IS besetzten christlichen Gebiete zu. Das nagt natürlich an den Menschen. Viele haben schon damals den Glauben an eine Zukunft im Irak verloren und wollten nichts wie weg. Ich wurde sehr oft nach Dollars und Visas für die Ausreise gefragt.

Es gibt jetzt Berichte, dass ein militärischer Befreiungsversuch Mossuls und der Umgebung nur noch eine Frage der Zeit sei.

Das ist richtig. Und die Menschen hoffen darauf. Allerdings könnte das zu neuen Schwierigkeiten führen. Denn Sie müssen bedenken, dass Mossul eine Millionenstadt ist. Kommt es zu einem Angriff, werden Hunderttausende vor den Kämpfen fliehen. Und wohin werden sie gehen? Wahrscheinlich nach Kurdistan, das jetzt schon aus allen Nähten platzt. Naheliegend ist aber auch, dass viele Sunniten aus Mossul und Umgebung in die leerstehenden christlichen Dörfer gehen und dort Zuflucht suchen. Das könnte ungeahnte neue Schwierigkeiten schaffen. Denn werden sie von dort wieder weggehen?
Noch ist das nur eine Möglichkeit. Die Bischöfe im Irak macht dieses Szenario aber echte Sorgen. Die Christen haben schon viele schlechte Erfahrungen mit Landbesetzung machen müssen.

Wie sieht die Lage der Flüchtlinge heute aus?

Insgesamt würde ich sagen, dass die Menschen nicht mehr so verloren und aggressiv sind. Die Kirche tut geistlich und psychologisch viel für die Menschen. Die Priester, aber besonders die Schwestern, sind den Menschen nahe. Die Menschen haben sich mit der Situation arrangiert. Ich sage nicht, dass sie dauerhaft so leben wollen. Natürlich nicht. Aber sie haben gesehen, dass man sie nicht allein gelassen hat. Wir haben Schulen eingerichtet. Bald werden auch weiterführende Schulen eröffnen können.
Damit sollte verhindert werden, dass wie in Syrien eine verlorene Generation heranwächst. Außerdem wohnen die meisten Menschen jetzt nicht mehr in Zelten oder Wohncaravans, sondern in angemieteten Wohnungen und Häusern. Das hat ihnen ihre Würde zurückgegeben und das Gefühl, wieder ein Zuhause zu haben. Durch unsere Zuschüsse für Lebensmittel und eigene Arbeit ist die Grundversorgung sichergestellt. Aber natürlich kann es nicht ewig so weitergehen. Je länger dieses Exil dauert, desto mehr Menschen werden gehen. Und es haben ja schon viele Christen den Irak verlassen.

Haben Sie Zahlen?

Keine genauen. Aber von den etwa 120000 Christen, die anfangs geflüchtet sind, sind viele gegangen. Wir haben zu Beginn etwa 13500 Familien geholfen. Heute sind es etwa 4 bis 5000 Familien weniger. Sie sind gegangen. Das tut weh. Aber ohne Hilfe wären es noch mehr gewesen. Ich bin immer wieder beeindruckt von der großen inneren Stärke der Menschen. Wenn man ihnen hilft, werden viele in ihre befreiten Dörfer zurückkehren.

Info: Kirche in Not hat seit Sommer 2014 über 19 Millionen Euro für Hilfe im Irak zur Verfügung gestellt. Mit den jetzt gemachten Zusagen für Hilfsprojekte sollen es zum Jahresende etwa 21 Millionen sein. Neben humanitärer Hilfe wird damit auch die pastorale Sendung der Kirche vor Ort unterstützt. Neben der Ausbildung und den Unterhalt von Priestern und Ordensfrauen werden auch katechetische Initiativen wie Sommerlager für Jugendliche gefördert. Mit der Hilfe von Kirche in Not konnten jetzt zudem über 225 irakische Jugendliche den Weltjugendtag in Krakau besuchen. 

Interview von Oliver Maksan für die Tagespost.