Wie war das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen vor dem Einfall der Islamisten?
Wie in anderen Ländern, etwa in Pakistan, bemühen sich Christen dort, wo sie nur eine kleine Minderheit unter Muslimen sind, um gute Beziehungen zu ihren muslimischen Nachbarn. So kenne ich das zumindest von katholischer Seite. In der Regel pflegen die Christen deshalb auch enge Kontakte zu den muslimischen Autoritäten, auch in Marawi war das nicht anders. Auf Seiten der Muslime war es wohl auch so, denn die Mehrheit wollte einfach nur friedlich mit ihren Nachbarn zusammenleben. Deshalb waren die Beziehungen zumeist freundschaftlich. Jetzt herrscht allerdings ein gewisses Misstrauen.
Wie geht der Bischof von Marawi, Edwin de la Pena, mit der Situation um?
Bischof de la Pena ist sehr um einen Ausgleich bemüht. Der Aufbau der Kathedrale hat für ihn deshalb auch keine Priorität. Das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und zwischenmenschliche wie auch interreligiöse Beziehungen wieder aufzubauen, ist für ihn das Wichtigste.
Gibt es bestimmte Projekte, mit denen man versucht, diese Ziele zu erreichen?
Die Diözese hat einige Initiativen ins Leben gerufen, darunter ein Rehabilitationszentrum, das über 200 Menschen Beistand bietet, die monatelang gefangen gehalten wurden und körperliche und seelische Qualen erlitten haben. Dort werden Christen wie Muslime gleichermaßen betreut. In Gruppentherapie, aber auch in Einzelgesprächen werden Frauen behandelt, die vergewaltigt wurden, auch solche im Mädchen- und Teenageralter. Oder Männer, denen Gewalt widerfahren ist, die geschlagen wurden – bis hin zu Kindern, die nach diesen schrecklichen Erfahrungen in die Normalität zurückgeführt werden müssen.
Und Sie erwähnten ein weiteres Projekt…
Das nennt sich „Youth for Peace“, also „Jugend für den Frieden“, und ist ebenfalls eine Initiative der Ortskirche. 184 überwiegend muslimische Studentinnen und Studenten der Mindanao State University besuchen im Rahmen dieses Projekts Flüchtlingslager. Aus dem Stadtkern sind im Zuge des Konflikts ja Zigtausend geflohen und leben nun in Lagern um die Stadt herum. „Youth for Peace“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Flüchtlingen zu helfen, ihnen zu zeigen, wir sind für euch da, wir wollen das, was wir mal hatten, nämlich ein friedliches Zusammenleben, wieder ermöglichen: Darum geht es den Studenten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Flüchtlinge Christen oder Muslime sind.
In welcher Form unterstützt KIRCHE IN NOT diese Projekte?
Schon während des Konflikts hat KIRCHE IN NOT Notfallhilfe für die Flüchtlinge geleistet. Jetzt wollen wir helfen, damit das Rehabilitationszentrum weitergeführt werden kann. Zudem unterstützen wir das „Duyog Marawi“-Peace Corridor Programm der Ortskirche zu dem auch „Youth for Peace“ gehört. Bisher wurden dafür zwei Fahrzeuge bereitgestellt, ein Van und ein Transporter. Weitere Hilfe ist geplant. Zudem diskutieren wir auch Hilfe für die Unterbringung der Flüchtlinge, die ja seit Monaten in Zelten leben. Bei tropischen Temperaturen von weit über 30 Grad ist es darin kaum auszuhalten. Dann regnet es andererseits auch wieder, manchmal heftig. Zelte sind also keine Dauerlösung. Es gibt Überlegungen, stattdessen kleine, provisorische Häuser zu bauen, die dann erst einmal ausreichen sollten. Daran wird sich KIRCHE IN NOT möglicherweise beteiligen.
Gibt es eine realistische Hoffnung, die Stadt in den nächsten Jahren wieder aufzubauen?
Der Wiederaufbau wird definitiv viele Jahre dauern. Ich habe noch nie einen so zerstörten Stadtkern gesehen, wie den von Marawi. Und seit dem Ende der Kämpfe im Oktober letzten Jahres ist nicht viel passiert. Das Militär sagt, dass erst einmal alle Blindgänger, Munitionsreste und Sprengfallen, die die Extremisten hinterlassen haben könnten, entfernt werden müssen.
Was ist das Fazit Ihrer Reise?
Es ist einerseits dramatisch zu sehen, wie Islamisten eine ganze Stadt, eine gewachsene Kultur benutzt und zerstört haben, also wohin ideologische Verblendung führt. Andererseits haben mich die Menschen in Marawi sehr überrascht. Ihre Lage ist zwar katastrophal, aber sie haben Hoffnung, sie packen an. Ich habe erfahren, wie wichtig ihnen der christlich-katholische Glaube ist, das selbstlose Konzept der Nächstenliebe, das sich in konkreter Hilfe für die Opfer zeigt. Und die jungen Freiwilligen, Muslime wie Christen, sind sehr offen miteinander umgegangen, was sehr ermutigend ist. Sie haben fast unisono gesagt, dass ihr gemeinsamer Einsatz sie dazu geführt hat, die Überzeugungen der anderen besser zu verstehen, dass sie gleichzeitig aber auch in ihrer eigenen Identität gefestigt wurden.