In Gefangenschaft von Boko Haram



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Rebecca wurde zwei Jahre von den Terroristen gefangen gehalten: Sie kerhte am 5. September in ihre Heimatstadt Maiduguri zu ihrem Ehemann zurück. In der Zwischenzeit gebar sie ein Kind, dessen Vater ein Mitglied von Boko Haram ist. Die Familie von Bitrus Zachariah und seiner Frau Rebecca hat eine traurige Geschichte zu erzählen, denn sie alle gerieten am 21. August 2014 in einen grausamen Angriff durch Boko Haram, der der massiven Offensive und der vollständigen Besetzung von Baga durch die Terroristen im Jahr 2015 voranging. 

Mit einem trüben Blick und einem tiefen Gefühl der Depression erzählt Rebecca dem Priester Gideon Obasogie, auch Direktor für Kommunikation der Diözese von Maiduguri, wie Boko Haram die Stadt Baga stürmte. In großer Verwirrung floh sie zusammen mit ihrem Ehemann und den zwei Söhnen, dem dreijährigen Zachariah und dem einjährigen Jonatan, aus ihrem schönen Zuhause. Sie war schwanger. Sechs Monate später verlor sie das ungeborene Kind aufgrund der unmenschlichen Bedingungen, denen sie durch die Terroristen ausgesetzt war. Als sie flohen, wurde ihr Mann zur Zielscheibe der Kämpfer. Er konnte nicht schnell laufen, weil er seinen Sohn trug. Da Rebecca starke Schmerzen hatte, flehte sie ihn an, um sein Leben zu laufen und seine Familie zurückzulassen. Bitrus befolgte ihren Rat und lief los, um sich im Gebüsch zu verstecken. Dorthin kamen die Kämpfer von Boko Haram auf ihrer Verfolgungsjagd und schossen willkürlich. Bitrus hatte Glück. Bewegt erzählte er, dass keine Kugel ihn auch nur streifte. Bitrus lief dann weiter und fragte sich, was aus seiner Frau geworden sei, da die Kämpfer in ihre Richtung zurückgekehrt waren.

Als er seine Geschichte erzählte, schaute er seine Frau mit einem Gefühl tiefer Scham an, da er in diesem verzweifelten Augenblick ihres Lebens für sie kein Held gewesen war. Mit wieder erstarkter Hoffnung machte sich Bitrus auf den Weg nach Mongonu. Er versprach sich davon, nach einiger Zeit seine Familie wiederzufinden, so Gott sie am Leben erhalten hätte. 15 Tage lang wartete er in Mongonu und hielt voller Hoffnung auf die Ankunft seiner Frau Ausschau in Richtung Baga. Beim tagelangen Warten sah er viele Menschen aus Baga eintreffen. Er sagt wörtlich: „Ich fragte sie immer wieder, ob sie etwas über den Aufenthaltsort meiner Frau wüssten, aber keiner konnte mir gute Nachrichten bringen. Ich wurde depressiv, hatte starke Migräne, und mein Blutdruck stieg stark an. Es waren da einige Soldaten, die mir Unterschlupf gewährten, so dass ich mein Haupt irgendwohin betten konnte, und die mir etwas Geld gaben, das ich dazu verwandte, nach Maiduguri zu fahren. Mein Onkel in Maiduguri bat mich inständig, nicht den Mut zu verlieren. Er brachte mich zur Behandlung ins Krankenhaus. Er versuchte, mir Hoffnung zu machen, aber er konnte meine Alpträume und mein Herzweh nicht vertreiben. Meine Familie und alles, was ich jemals gehabt hatte, hinter mir zu lassen, war eine Erfahrung, die ich nicht so einfach verwinden konnte.“

REBECCAS GESCHICHTE

“Als die Männer von Boko Haram zu mir kamen, bedrohten sie mich und sagten: „Wenn wir deinen Mann getötet hätten, dann hätten wir vor Allah einen Verdienst erworben, aber da Allah das nicht zugelassen hat, wirst du mit deinen Kindern mitkommen und für Allah arbeiten!“ Danach schlugen sie mich mit einem großen Gewehr, das mir einige Zähne ausschlug.“ Als sie gefragt wird, was dann geschehen sei, bricht Rebecca in Tränen aus und schaut mich durchdringend an. Ich verzog ein bisschen meinen Mund zu einem freundlichen Lächeln, dann ermutige ich sie fortzufahren. 

Rebecca beruhigt sich wieder und sagt, danach habe ihr Alptraum angefangen. Nachdem die Kämpfer von Boko Haram alle Männer getötet hätten, die sie gefangen genommen hatten, trieben sie Rebecca und ihre beiden Söhne in den Tschadsee. Den See zu durchqueren war eine schlimme Reise, mit Wasser, das ihr bis zum Hals stand. Sie waren sechs Tage lang unterwegs, um den See zu durchqueren, und man gab ihnen Chin-Chin [NB: ein typisches nigerianisches Gebäck] zu essen. Am siebten Tag kamen sie in einem Ort namens Kwalleram an, der im Herzen der Dornensavanne liegt. Sie blieben dort 53 Tage. Sie wurden gezwungen, für die Ehefrauen der Männer zu waschen, süßen Pfeffer zuzubereiten, die Pfade für ihre Mopeds freizumachen und für die Soldaten zu kochen. „Nach einiger Zeit brachten sie mich und meine Söhne nach Gurva in den Tschad, weil sie Angst hatten, ich könnte fliehen. Wir waren siebzig Tage in Gurva. Wir arbeiteten auf den Feldern und schnitten Feuerholz. In Gurva waren rund 2000 Boko Haram-Kämpfer.” 

IN DER STADT TILMA 

„In Tilma brachte man mir die Nummer 69 am Rücken an. Ich weiß nicht wirklich, was sie bedeutete, und ich habe nie danach gefragt. Sie verkauften mich an einen Mann namens Bage Guduma. Ich verbrachte 55 Tage bei ihm. Man gab mir Palmfrüchte, aber Gott sei Dank aß ich nicht davon. Dies hätte zu einem Rausch führen können und mich in Folge dessen meiner Sinne berauben können. Ich gab ihm nicht nach, und die meisten Nächte, in denen er mich berühren wollte, nahm ich die Ausscheidungen meiner Kinder und rieb meinen Körper damit ein. Dies hielt ihn immer von mir fern, auch wenn seine Jungen mich stets erbarmungslos verprügelten. Sie ließen mich drei Wochen lang ein Loch graben, bis ich das Grundwasser erreichte. Jeden Tag peitschten sie mich mit 98 Schlägen aus. Ich war zwei Wochen lang krank. Dann nahmen sie meinen zweiten Sohn Jonathan und warfen ihn in den Tschadsee. Er versank noch lebendig.“ Dies sagt sie mit tiefem Kummer, und dicke Tränen rannen über ihre Wange. Alle diese schrecklichen Dinge wurden Rebecca zugefügt, weil sie sich weigerte, ihren Körper hinzugeben.

MALLA – DER VATER DES SOHNES, DEN ICH DANN BEKAM

„Malla war der zweite Mann, den sie zu mir brachten. Sie zwangen mich dazu, mit ihm zu schlafen. Als ich mich widersetzte, warfen sie mich in ihr Gefängnis, eine tiefe Grube. Ich verbrachte zwei Tage in der Grube, ohne Wasser und Nahrung. Als ich rauskam, nahm mich Malla mit roher Gewalt. Als ich sah, dass meine Periode ausblieb, wusste ich, dass ich schwanger war. Ich suchte Paracetamol und nahm zehn Tabletten auf einmal, um der Schwangerschaft ein Ende zu setzen. Aber das klappte nicht. Dann bat mich eine Frau – die Ehefrau eines Pastors, die aus Gwoza entführt worden war – inständig darum, mich nicht wegen der Schwangerschaft umzubringen. Sie hatte schon zwei Kinder von Boko Haram. Dies ermutigte mich, die Schwangerschaft bis zu der Entbindung durchzustehen. Ich verging fast vor Hunger. Als ich niederkam, kam mir niemand zur Hilfe. Ich schnitt die Placenta selbst und mit großen Schmerzen ab. Ich erhielt keinerlei medizinische Versorgung. Sie nannten meinen Sohn Ibrahim. Sie liebten ihn, weil er ein Junge ist. Sie wollen Frauen, die männlichen Nachwuchs gebären. Malla, der Vater, ein Mitglied von Boko Haram, der auf Reisen gewesen war, kehrte sechs Wochen nach der Geburt meines Kindes zurück. Ich hatte mit ihm nichts mehr zu tun, denn sie hatten versprochen, mich einem anderen Mann zu verkaufen.“

MIT KUMMERVOLLEM SINN

Sie sahen im Laufe der vergangenen zwei Jahre und einiger Monate schreckliche und beängstigende Dinge. Sie erlebten es oft, dass Menschen, die zu fliehen versuchten, zu Tode kamen. Es gab dort einen Benjamin, einen Igbo-Mann, der fliehen wollte, der aber aufgegriffen wurde und dem beide Beine gebrochen wurden. Sie ließen ihn mit schlimmen Schmerzen liegen. Sie wurden gezwungen, zwischen 7 und 10 Uhr morgens, zwischen 12 und 14 Uhr und zwischen 16 und 18 Uhr an ihren Gebeten und Lesungen teilzunehmen. Sie töteten einige Christen, die es ablehnten, mit ihnen gemeinsam zu beten. Sie schändeten Mädchen von acht oder neun Jahren und vergewaltigten sie zu Tode. 

MEINE FLUCHT

Eines schönen Tages, als die meisten Kämpfer von Boko Haram weggefahren waren, erhielt Rebecca von einem weiblichen Mitglied von Boko Haram, wahrscheinlich der Ehefrau eines Befehlshabers, die Erlaubnis, eine Freundin in einem anderen unter der Kontrolle von Boko Haram stehenden Gebiet zu besuchen. Als es ihr gestattet wurde, machte sie sich nach Maitele auf, einer kleinen Ortschaft vielleicht in der Nähe des Tschad. Sie liefen sechs Tage lang zu Fuß in Richtung der nigerianischen Grenze. Ihr Sohn wurde krank, weil es an Wasser und Nahrung mangelte. Gottlob gab es dann einen heftigen Regenschauer, der ihre Kräfte wiederbelebte und erneuerte, um diese Reise, die für viele zu einem unbekannten Ziel geführt hätte, fortzusetzen. Rebecca kannte zwar nicht den Weg, auf dem sie sich befand, aber sie lief mit großer Hoffnung und dem Glauben, sicher anzukommen, weiter. Sie kamen in Diffa an, wo sie auf einige Angehörige der US-Armee und der Armee des Niger trafen, die ihren Sohn behandelten und ihnen dann etwas Brot zu essen gaben. Nach einiger Zeit brachten diese sie zu einigen nigerianischen Soldaten in Damaturu. „Die Soldaten waren ganz wunderbar. Sie brachten mich direkt zu meinem Ehemann in Maiduguri City.”

MEIN NEUER SOHN IBRAHIM

Bitrus, der Ehemann von Rebecca, sagt in einem ruhigen und doch verstörten Ton: „Meine Frau mit einem Sohn von einem Vater zu sehen, der Boko Haram angehört, verängstigt mich sehr. Ich war sehr glücklich, meine Frau zu sehen, aber der Sohn lässt mir das Herz brechen. Gebe Gott, dass ich ihn lieben kann. Doch er ist der Sohn einer Schlange“, erklärt Bitrus mit erbittertem Zorn. Rebecca sagte mit gemischten Gefühlen, der kleine Ibrahim sei ihr Sohn, trotz seines bösen Vaters. Sie hat mehrfach versucht, das Kind der Regierung zu überlassen, aber Soldaten baten sie, damit zu warten, weil das Kind nur acht Monate alt sei. 
Rebecca, deren Eltern in Kamerun sind, hat ihren Mann angefleht, sie aufzunehmen, so wie sie ist, aber wenn er zögere, so sagt sie in hoffnungslosem Ton, „dann werde ich ihm seinen Sohn überlassen und zu meinen Eltern gehen.“

DIE ZUKUNFT 

Bitrus und seine Familie befinden sich in der Obhut der katholischen Diözese von Maiduguri. Bischof Oliver Doeme sorgt für sie, seitdem sie in ein unfertiges Flüchtlingslager eingezogen sind, wo über 500 IDPs (Binnenflüchtlinge) untergebracht sind. Mit Gebeten, Solidarität und der finanziellen Unterstützung werden sie bald das Böse und den Schmerz der Vergangenheit vergessen. Die Diözese hat Rebecca mit Lebensmittelnothilfe versorgt und hofft, die Hilfe weiterführen zu können. Im Moment ist die Familie an einem moralischen Scheideweg. Sie brauchen sorgfältige medizinische Versorgung, Kleidung, eine sichere Unterkunft und eine Bettstatt, auf die sie ihr aufgewühltes Haupt betten kann. Die Zeit heilt viele Wunden, aber Rebecca bräuchte eine systematische Traumabehandlung. Und ihr Sohn Zachariah, der jetzt sechs Jahre alt ist, müsste in die Schule gehen. Sie ist wirklich eine Frau, die stark ist im Glauben!

Die Päpstliche Stiftung „Kirche in Not“ hat in Nigeria im Jahr 2015 Projekte für mehr als anderthalb Millionen Euro finanziert. Seit 2014 unterstützt „Kirche in Not“ auch Nothilfeprojekte für die Opfer von Boko Haram, für Flüchtlinge in Kamerun und Nigeria, auch in der Diözese Maiduguri.

Von Gideon Obasogie (Priester in Maiduguri) für Kirche in Not