Mehr Entführungen und Zwangsehen



pakistan_karte-c-tubs

Die Zahl der in Pakistan entführten und zwangsverheirateten Frauen hat 2021 weiter zugenommen. Das berichtet das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“. Mehr als dreißig Organisationen – darunter auch die Nationale Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der (katholischen) Pakistanischen Bischofskonferenz (Lahore) – hätten deshalb einen Appell an die pakistanische Regierung gerichtet. Sie fordern, diese Vorfälle einheitlich zu dokumentieren und dem Parlament vorzulegen. Das „Zentrum für Soziale Gerechtigkeit“ (Center For Social Justice/CJS) in Lahore habe dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bereits im Sommer einen entsprechenden Bericht vorgelegt. Daraus gehe hervor, dass für 2021 mindestens 78 Fälle belegt seien, bei denen junge Frauen entführt, zur Konversion zum Islam gezwungen und zwangsverheiratet worden seien – eine Steigerung um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für 2022 lägen bisher noch keine Zahlen vor. Betroffen seien jedoch vor allem junge christliche oder hinduistische Frauen. Beobachter nähmen an, dass die tatsächliche Zahl der Entführungen weit höher sein dürfte, da viele Taten nicht bei der Polizei gemeldet würden. Der Direktor der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der (katholischen) Pakistanischen Bischofskonferenz (Lahore), Emmanuel Yousaf, schilderte gegenüber „Kirche in Not“ die gegenwärtige Situation: „Es gibt Gesetze, um gegen die Täter vorzugehen, aber sie werden zu wenig umgesetzt. Ein Grund dafür ist, dass diese Gewalt ausschließlich christliche oder hinduistische Frauen und Mädchen betrifft. Der Druck geht stark von der Gesellschaft in Pakistan und der muslimischen Seite aus. Sie setzen die Familien und die Mädchen unter Druck, und deshalb bleiben solche Taten oft unentdeckt.“

Einer von vielen Fällen

„Kirche in Not“ dokumentiert in einer Pressemitteilung einen der zahlreichen Entführungsfälle: So sei die 14-jährige Christin Mehwish Bibi aus Sheikhupura in der Provinz Punjab im Nordosten Pakistans am 4. August 2021 verschleppt worden. Um ihre Familie zu unterstützen, habe die Jugendliche als Kindermädchen gearbeitet. Ein muslimischer Nachbar habe ihr angeboten, sie mit dem Auto an ihre Arbeitsstelle mitzunehmen. Ein Getränk, das er ihr gereicht habe, sei jedoch mit starken Beruhigungsmitteln versetzt gewesen. Ihr Entführer habe sie dann in die 140 Kilometer entfernte Stadt Sargodha gebracht und dort in einem Lieferwagen gefangen gehalten, wie Bibi berichtete: „Ich habe mich gegen ihn gewehrt, aber er hat mir immer etwas ins Essen getan, und geschlagen hat er mich auch“, so die junge Christin. Eine Woche später habe ihr Entführer den Behörden Dokumente vorgelegt, die belegen sollten, dass Bibi zum Islam konvertiert sei und ihn geheiratet habe. Nachdem ihre Eltern vom Aufenthalt und der Zwangsheirat ihrer Tochter erfahren hatten, hätten sie sich an die Einrichtung „Christians‘ True Spirit“ gewandt, die sich für entführte christliche Mädchen einsetzt. Diese habe bei Gericht die Auflösung der Ehe beantragt und Recht bekommen. „Kirche in Not“ berichtet in diesem Zusammenhang, dass die Behörden und Gerichte in Pakistan nach Angaben lokaler Gesprächspartner mittlerweile sensibler für Fälle von Zwangsverheiratungen und -konversionen geworden seien. Doch oft zögen sich entsprechende Verfahren über Monate hin, während das Martyrium der jungen Frauen weitergehe.

Erstmal in Sicherheit

Seit rund einem Jahr lebe Bibi in einer Unterkunft von „Christians‘ True Spirit“ in Lahore, in der sieben weitere Frauen Zuflucht gefunden hätten. Eine Zeit lang habe sie Angst vor jedem fremden Mann verspürt: „Ich geriet in Panik, wenn Elektriker oder Klempner in unsere Unterkunft kamen, um etwas zu reparieren.“ Ihr Zustand habe sich inzwischen aber etwas gebessert und sie überlege aktuell, ob sie eine Ausbildung als Schneiderin oder Köchin beginnen solle. Zu ihrer Familie könne sie aktuell noch nicht zurückkehren. Denn oft würden die Entführungsopfer und ihre Angehörigen weiter bedroht oder sozial ausgegrenzt. Die Psychologin Aghania Rafaqat betreut Bibi und ihre Leidensgenossinnen. Sie berichtet gegenüber „Kirche in Not“: „Manche meiner Klientinnen sind aggressiv und bekommen Weinkrämpfe. Sie erleben tiefe Traurigkeit und haben große Angst vor der Zukunft. Die Albträume führen nicht selten zu schweren psychischen Störungen.“ Von den über 222 Millionen Einwohnern Pakistans sind etwa 96 Prozent Muslime, zwei Prozent Christen und 1,3 Prozent Hindus. (Quelle: IDEA, Bild: TUBS/wikipedia)