Weihnachten in der „Hölle von Aleppo“



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Weihnachtsmusik, bunte Luftballons, Lichter, ein Christbaum: Schwester Annie Demerjian und ihre Helfer haben den Gemeindesaal weihnachtlich geschmückt. Geschenke werden verteilt. Kleine Kinder tollen umher. Es wird gelacht. Doch die Idylle trügt. Regierung und Rebellen liefern sich seit 2011 einen erbitterten Kampf um Aleppo, die einst wohlhabende Handelsmetropole im Norden Syriens. Immer wieder kommt es zu Gefechten. „Vor zwei Tagen schlugen Raketen in unserer unmittelbaren Nähe ein. Sechs Menschen wurden getötet. Keiner weiß, ob man lebend heimkommt, wenn man das Haus verlässt“, berichtet Schwester Annie. Sie gehört der „Gemeinschaft Jesu und Mariens“ an. Zusammen mit ihren Mitschwestern versucht sie, die verbliebenen Mitglieder der armenisch-katholischen Gemeinde mit Kleidung, Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen.

Hunderttausende Christen lebten vor Beginn des Krieges in Aleppo. Heute sind es nur noch wenige zehntausend. Viele wurden getötet, andere sind geflohen. Die Stadt ist ein Trümmerfeld. „Das Leben bei uns ist sehr hart. Strom und Wasser gibt es oft tagelang nicht. Jetzt im Winter ist es bitterkalt. Kürzlich habe ich eine Familie besucht: Eltern und Kinder hausten weiterhin in ihrer Wohnung, obwohl sie von Raketen schwer beschädigt war. Mein Herz hat geweint“, erzählt Schwester Annie.

Die Ordensfrau tut auch in diesem Jahr ihr Möglichstes, um den Gemeindemitgliedern ein frohes Weihnachtsfest zu bereiten. „Wir teilen Hosen, Pullover und Jacken aus. Das brauchen die Menschen am dringendsten.“ Seit September haben Schwester Annie und ihre Helfer für die weihnachtliche Bescherung gearbeitet. „Wir haben christliche Schneider in Aleppo mit der Herstellung beauftragt. Sie sind so dankbar, dass sie endlich wieder Arbeit haben und damit ihre Familien ernähren können.“ Gut 12 000 Kleidungsstücke sind auf diese Weise zusammengekommen. Die Ordensfrau ist zufrieden. „Jetzt können wir vielen Menschen zu Weihnachten eine kleine Freude machen.“

Trotz der eigenen Schwierigkeiten denkt die Gemeinde auch an andere Notleidende. Einige der Kleidungstücke wurden nach Al-Hasaka transportiert, das über fünf Autostunden von Aleppo entfernt liegt. Das Vorrücken der islamistischen Milizen hätte die Aktion fast verhindert. „Der IS hat das Gebiet zwischen Aleppo und Al-Hasaka erobert und uns den Weg abgeschnitten“, erzählt Schwester Annie. Alles musste umgepackt und per Flugzeug geschickt werden. Nun sei alles wohlbehalten angekommen.

Seit dem dritten Advent verteilt Schwester Annie die weihnachtlichen Kleiderspenden. „Die Menschen sollen sich nicht wie Bettler vorkommen. Deswegen haben wir den Ausgaberaum festlich geschmückt. Es soll eine Begegnung von Mensch zu Mensch sein.“ Viele seien dankbar, sich ihr Leid von der Seele reden zu können, so Schwester Annie. Ein alter Mann habe ihr berichtet, dass er und seine Frau an den Weihnachtstagen nur zu zweit seien. „Früher feierten alle ihre sechzehn Kinder und Enkel mit ihnen. Jetzt sind sie alle weg, geflohen. Geblieben sind nur die beiden Alten.“ So ergehe es vielen. „In jedem Haus gibt es eine traurige Geschichte zu erzählen“, weiß Schwester Annie.

Ohne Unterstützung aus dem Ausland wäre das umfangreiche Weihnachtsprojekt nicht zu stemmen, davon ist die Ordensfrau überzeugt. „Dass ich den Menschen überhaupt etwas geben kann, ist für mich ein Wunder Gottes – der durch die Hand hilfsbereiter Menschen wirkt.“ Das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt die Arbeit Schwester Annies seit Jahren. „Wir sind unseren Wohltätern so dankbar. Wir beten für sie. Die Menschen sind tief bewegt, wenn sie hören, von wem die Gaben stammen.“

Die Geschenke und Spenden seien für die Christen in der „Hölle von Aleppo“ ein Hoffnungsschimmer in einer trostlosen Zeit. „Das ist für uns das fünfte Weihnachtsfest im Krieg. Natürlich werden die Menschen an den Festtagen in die Kirche gehen. Aber die Freude, die wir alle einmal an Weihnachten spürten, ist weg. Geblieben ist nur noch Traurigkeit.“ Dennoch staune sie immer wieder über die Zuversicht und den tiefen Glauben der Menschen, so Schwester Annie. „Die Menschen vertrauen auf Gott. Und sie freuen sich, dass ihre Mitchristen im Ausland sie nicht vergessen haben.“

YouTube-Video: Weihnachtsbotschaft der Christen aus Aleppo: https://youtu.be/C5QhS53vewE