Er wird ein wenig traurig, wenn er über die Lage in seinem Land spricht. Um seine Ausbildung als Koch zu finanzieren, arbeitete er als Straßenkehrer. Dort habe er die Nöte der Menschen entdeckt, sagt er. Dies habe ihn dazu bewogen, selbst etwas zu tun.
In den drei Jahren, in denen er bei der Pfarrtafel aushilft, hat er sehr bewegende Momente erlebt, Ereignisse, die sein Leben geprägt haben. Er hat große Liebe und Zuneigung erfahren und auf der anderen Seite schlimmes Leid mitansehen müssen. Wie damals, als ein junger Mann zu ihm kam, um ihm für alles zu danken, was er für ihn und seine Kinder getan hatte. Die Tafel sei ein Trost in der schrecklichen Verzweiflung, die sie durchlebten. Überwältigt und müde habe sich dieser Mann aber entschieden, den Kampf aufzugeben und sich das Leben zu nehmen. Er sei nur gekommen, um sich von Tony zu verabschieden. Der Koch versuchte, den Mann von seiner Idee abzubringen und ihm neue Hoffnung zu schenken, doch es war zu spät: Der Mann hatte bereits ein paar Stunden vorher eine Flasche Gift genommen. Er starb. Es war für Tony ziemlich schwierig, danach wieder Mut zu fassen, aber sein Glaube und der Pfarrer halfen ihm sehr.
Tony ist davon überzeugt, dass es trotz der Krise und allem Leiden in Venezuela viele gute Menschen gibt. Er hält sich für einen Senfkorn in dieser Arbeit. Am Eingang zur Pfarre San Sebastian steht ein Schild, das die Gläubigen dazu einlädt, ihren „kleinen Tropfen der Liebe“ zu geben. „Kleine Tropfen der Liebe“, so haben Tony und die anderen Mitarbeiter die Initiative getauft. Sie bitten jeden Einzelnen, einen „Tropfen“ von etwas, das er zu Hause hat, mitzubringen. Das ist der Tropfen der Liebe zu den Mitmenschen. Der Chefkoch erzählt dankbar von Carmen, Berta und Ana. Sie sind einige der Frauen, die ihm bei allem helfen. Auch von den vielen anderen Freiwillige, die mittags oder am Wochenende kommen, um die Mahlzeiten zu servieren. Er dankt für die große Unterstützung der Diözese La Guaira und seitens einzelner Unternehmen, etwa Teixeira Duarte – das ist Tonys Arbeitgeber und der größte Sponsor in dem Projekt.
Am Nachmittag ruht sich Tony nach seiner Arbeit etwas aus. Danach bereitet er den sogenannten mise en place vor, was im Fachjargon die Zusammenstellung der Zutaten bedeutet, um alles für den nächsten Morgen da zu haben. Er stellt fest, was noch fehlt, und überlegt, woher er es bekommen kann. Und dann fährt Tony mit seinem alten Motorrad zur Bäckerei. Dort „schenkt“ er, so seine Worte, ein paar Stunden seiner Fähigkeiten, um dafür zehn oder fünfzehn Brote als Gegenleistung zu bekommen. In dünne Scheiben geschnitten, reichen sie aus, damit jedes Kind am nächsten Tag etwas Brot bekommt. Es ist ein sehr wichtiger „Tropfen der Liebe“, betont Tony. Denn das Brot ist inzwischen so teuer, dass kaum noch jemand welches zu Hause hat.
Nach einem langen Tag fährt er mit seinem Motorrad heim. Die Maschine ist schon zehn Jahre alt und hat einige Schäden, aber sie zieht immer noch. Bevor Tony sich schlafen legt, bittet er Gott um die nötige Kraft und Gesundheit, morgen seine Arbeit fortsetzen und so seinen Mitmenschen bis zum letzten Tag seines Lebens helfen zu können.
Tony Pereira wird keinen Michelin-Stern erhalten, obwohl er tagtäglich preiswürdige Herausforderungen und Schwierigkeiten meistert. Er wird auch wahrscheinlich keinen Kochwettbewerb gewinnen; aber zweifelsohne würde der Koch aus La Guaira jeden Tag den Titel „Masterchef“ verdienen, weil er das Leben vieler Menschen wirklich geschmackvoller macht.
KIRCHE IN NOT unterstützt mehrere Projekte in Venezuela. Sie sollen den Bistümern helfen, die in hunderten Pfarren bestehenden Tafeln am Leben zu erhalten. Für die Diözese La Guaira spendete KIRCHE IN NOT elf Kühlschränke und eine Küche. Mitarbeiter des Hilfswerkes besuchten während ihrer letzten Reise nach Venezuela mehrere Tafeln, darunter jene in der Pfarrre San Sebastian, wo sie Tony, Pfarrer Martin und die Freiwilligengruppe der Gemeinde kennenlernten. „Kirche in Not“ unterstützt auch mittellose Priester und ihre Gemeinden mit Messstipendien.